Ox-Fanzine 10/08
“For the World is Hollow and I Have Touched the Sky”
Wer sich eingehender mit der Geschichte von Punk in Deutschland beschäftigt, wird früher oder später auf den Namen Hollow Skai treffen. Der Mann mit dem coolen Pseudonym heißt eigentlich Holger Poscich, wurde 1954 geboren, gründete 1980 No Fun Records (eben erschien auf Sireena eine CD-Kopplung der Singles), das uns Bands wie DAILY TERROR und HANS-A-PLAST bescherte, beschäftigte sich schon früh wissenschaftlich mit dem Phänomen Punkrock (siehe das jüngst neu aufgelegte, 1981 erschienene Buch ” Punk. Versuch der künstlerischen Realisierung einer neuen Lebenshaltung.”), war lange Jahre Pop-Redakteur beim Stern, schreibt und lektoriert heute Bücher (beispielsweise über GREEN DAY), und hat sich anders als viele andere aus der Pioniergeneratiowww.skaichannel.den bis heute nicht von Punk lösen können und wollen. Und weil ich solche Menschen interessant finde, rief ich Hollow Skai an, um dieses Interview zu führen.
Darf ich Sie duzen? Bei Leuten über fünfzig frage ich das schon mal …
Ja, darfst du.
Kannst du dich erinnern, wann du das erste Mal auf einem Konzert gesiezt worden bist?
Nein, aber in den letzten zwei Jahren werde ich doch mehr gesiezt als geduzt.
Merkt man daran, dass man so richtig, äh, erwachsen ist?
Erwachsen bin ich schon länger, manchmal finde ich es aber auch angenehm, gesiezt zu werden, ich will mich ja nicht gleich mit jedem verbrüdern. Das Zwangs-Du, das in manchen Verlagen gepflegt wird und wo der Chef Wert darauf legt, dass sich die Angestellten mit dem Vornamen ansprechen, finde ich jedenfalls albern.
Aber Punk ist doch eine Jugendkultur, und junge Menschen duzen sich …
Tja, aber wie das so ist mit der Jugendkultur, Punks werden ja auch älter. Punk ist ja nun schon über dreißig Jahre alt, da könnte man sich allmählich auch siezen. Aber das ist ja auch nicht unser größtes Problem, oder? Außerdem habe ich auch Freunde, die 20 Jahre jünger sind als ich, das Alter ist da nie ein Thema. Und im Vergleich zu Gleichaltrigen komme ich mir oft viel jünger vor – und gegenüber anderen komme ich mir uralt vor. Es ist eben eine Frage, wie du drauf bist und was du draus machst, was dich antreibt. Klar, ich stelle mich bei einem Punk-Konzert heute nicht mehr in die erste Reihe, was habe ich da zu suchen? Das letzte Mal habe ich das in den Neunzigern bei den TOTEN HOSEN gemacht, da musste ich mit der Tochter einer Freundin von der langweiligen Pressetribüne ganz nach vorne, stand plötzlich in der fünften Reihe im tobenden Mob. Campino sah das von der Bühne aus und hat sich über mich totgelacht … Ich sah wohl aus wie ein Lehrer auf Klassenfahrt.
Und seitdem stehst du wieder konsequent hinten.
Schon lange. Seit ich über Musik schreibe, ist der beste Platz hinten an der Bar, mit etwas Abstand zum Geschehen.
Dennoch hätte ich gerne von dir eine Erklärung des Widerspruchs, der Punk auszeichnet: Einerseits als Jugendbewegung entstanden, mit einer Betonung auf jugendlicher Flegelhaftigkeit und Unbekümmertheit, und andererseits sind viele der Aktiven, vor allem in Bands, über 40, 50, ja im Falle von Charlie Harper von den UK SUBS schon über 60.
Für mich war Punk schon damals, als es anfing, nicht nur eine Jugendbewegung, sondern auch eine kulturelle Bewegung, der Ausdruck eines anderen Lebensgefühls, und das wiederum hat nicht unbedingt was mit dem Alter zu tun. Genau, wie man das von Hippies auch sagen kann, ist Punk eben eine bestimmte Lebensweise. Von daher spielt das Alter keine große Rolle, Hauptsache die Leute sind noch frisch im Kopf. Gleichzeitig schaue ich mir so manche Punks in der Fußgängerzone an, und da sehe ich keinen Unterschied zu anderen Pennern. Auch wenn die so rumlaufen wie aus dem Museum, das hat für mich nichts mit Punk zu tun. Punk bedeutet für mich, dass man selbst was tut, weil irgendwie alles andere Scheiße ist. Und es bedeutet nicht, dass man nur rumhängt und sich den Kopf zudröhnt.
Aber wie entkommt man dem Mechanismus, der hinter Sätzen steckt wie “Na ja, Punk, ich bin jetzt 40, die Kinder, der Job, das Vinyl hab ich neulich in den Keller geräumt …” und so weiter? Du beschäftigst dich ja auch beruflich bis heute mit dem Thema Punk.
Naja, ich hab ja auch viele andere Themen, aber es ist schon komisch, wie das Thema Punk immer wieder zu mir zurück kommt, ich werde immer wieder damit verbunden. Durch einen gemeinsamen Bekannten etwa kam ich mit den beiden Jungs von der Bandcatering-Firma Rote Gourmet Fraktion in Kontakt und wir schrieben zusammen deren Buch, in dem es ja auch um Punkrock geht. Das habe ich mir nicht ausgesucht, das ist so passiert, wie auch jetzt die Neuauflage der No Fun-Singles. Auf die Idee wäre ich nie gekommen, für mich hört sich das heute an wie Kraut und Rüben, aber wenn jemand denkt, das stößt immer noch auf Interesse, dann freut mich das natürlich. Gleiches gilt für meine Examensarbeit über Punk, die 1981 im Sounds-Verlag erschienen ist, und die jetzt vom Archiv der Jugendkulturen neu aufgelegt wurde. Das passiert einfach, ohne dass mich Punk heute den ganzen Tag beschäftigt.
Aber mit deiner Arbeit als Lektor etwa eines dicken Buchs über GREEN DAY, von “Please Kill Me” oder das Buch über die, nun, Punkband DIE TOTEN HOSEN ist die Affinität zum Thema doch ein roter Faden.
Okay, aber da waren auch noch über 30 andere Bücher, die ich lektoriert habe, die nichts mit Punk zu tun hatten, etwa über George Harrison, DEPECHE MODE, 50 Cent oder PINK FLOYD. Aber klar, “Please Kill Me” oder “Rip It Up And Start Again” sind die Highlights, die mich am meisten gefesselt haben und weil es mit die geilsten Bücher sind. Demgegenüber ist so eine Kate Bush-Biografie halt ein normaler Job, das interessiert mich persönlich weniger, aber ich muss eben auch mit irgendwas meine Brötchen verdienen. Die einen sind eben Lehrer von Beruf, und ich bin Lektor.
Und wie wird man Lektor?
Ich habe Germanistik studiert und 1980 darin auch einen Magister-Abschluss gemacht. Da es in Hannover keine Verlage gab, bin ich aber nie auf die Idee gekommen, Lektor zu werden. Das ergab sich später eher zufällig: Ich veröffentlichte 2000 und 2002 im Hannibal Verlag “In A Da Da Da Vida”, zwei Bücher mit Geschichten zu Popsongs, und danach hat man mich dann gefragt, ob ich nicht Musikbücher lektorieren will. Ich habe das dann mal probiert und gemerkt, dass mir das total Spaß macht, dass das genau der Job ist, den ich am liebsten mache. Mein Job besteht darin, das Buch zu lesen und darauf zu achten, dass es gut übersetzt ist, ob man manche Begriffe erklären muss, die etwa in den USA oder England bekannt sind, hierzulande aber nicht unbedingt. Hier und da gibt es sprachlich etwas zu verfeinern, es gibt kleine Fehler, und auf diese Weise einen Text in Form zu bringen, macht einfach Spaß.
Wieso übersetzt du nicht selbst?
Das ist mir zu mühsam, ich möchte mich nicht Monate lang beispielsweise mit Kate Bush beschäftigen.
Das Problem an deutschen Übersetzungen von Musikbüchern ist, dass sehr viele miserabelst übersetzt sind und sich Verlage gerne die Kosten eines Lektors sparen.
Oh ja, und dafür gibt es ein gutes, aktuelles Beispiel: Das Buch über Iggy Pop, das gerade bei Rogner & Bernhard erschienen ist. Angeblich ist es lektoriert worden, es steht zumindest ein Name im Impressum, aber es ist so voller Fehler, dass ich nach dem Lesen so sauer war und dem Verlag geschrieben habe. Es gibt eben immer wieder den Fall, dass Lektoren ihren Job nicht ernst nehmen und nur die Rechnung schreiben. Anscheinend denken manche Leute, das sei ja nur Popmusik, da müsse man nicht so genau arbeiten, dabei ist es doch genau da entscheidend, exakt zu arbeiten, denn durch Fehler, durch schlechtes Lektorat, verliert so ein Buch ja leicht seine Glaubwürdigkeit.
Man muss in dem Metier eben immer davon ausgehen, dass es da draußen jemanden gibt, der es besser weiß.
Eben, und die meisten Fehler lassen sich verhindern, und dann macht es auch mehr Spaß, ein Buch zu lesen – man muss sich nicht dauernd ärgern über falsch geschriebene Bandnamen und so weiter.
Das Genre der “Popliteratur”, also der Bücher über Pop- und Rockmusik, ist in Deutschland noch ein recht neues. Klar, es gab immer mal wieder Bücher zum Thema, aber im Gegensatz zum englischen Sprachraum, wo das schon seit den Achtzigern verbreitet ist, erscheinen in Deutschland erst seit ungefähr zehn Jahren vermehrt Bücher zu dem Thema.
Ja, und mittlerweile gibt es einige Verlage, die renommiert sind und sich Mühe geben. Ein paar andere haben es in den letzten Jahren versucht, von denen man dann lange nichts hört, und unterdessen steigen die großen Verlage ein, machen die Preise kaputt, und wenn das dann nicht so läuft, wie die sich das vorgestellt haben, lassen sie es wieder sein, nach dem Motto “Musikbücher verkaufen sich nicht”, und dann machen die kleinen Verlage wieder weiter. Das ist ein ewiger Kreislauf. Leider gibt es in Deutschland keinen großen Verlag, der sich ernsthaft und über Jahre um das Thema kümmert – ganz im Gegensatz zu England. Wenn ich dort in einer Buchhandlung vor den Regalen mit Musikbüchern stehe, werde ich immer ganz neidisch. Aber man muss eben sehen, dass die mit Büchern in englischer Sprache einen weltweiten Markt haben. Mit deutschsprachigen Titeln ist das schwieriger.
Viele Fans greifen aber auch hierzulande zum englischen Original.
Ein paar gibt es sicher, aber ich denke, dass sich eine deutsche Übersetzung immer lohnt. Wirklich ärgern tut mich, dass im Rolling Stone oder Musikexpress fast ausschließlich englische Bücher besprochen werden, und wenn eines davon auf Deutsch erscheint, schreiben sie nichts darüber, dann heißt es, das habe man doch längst besprochen. Für die paar Schmocks, die das auf Englisch lesen, finde ich diese Einstellung unverschämt. Das sind doch Snobs bei diesen Blättern, die bilden sich was drauf ein, dass sie in der Schule guten Englischunterricht hatten und meinen jetzt, an der Masse der Leser vorbeischreiben zu können. Was der Grund dafür ist, dass diese Zeitungen kaum gekauft werden.
Höre ich aus deinen Worten einen gewissen Groll gegenüber diesen Blättern heraus?
Ja. Beim Rolling Stone steckt da eine persönliche Sache dahinter, seit man mal von mir einen Verriss der ÄRZTE erwartet hat, zu einem Zeitpunkt, als ich die Band noch gar nicht gesehen hatte. Da war dann die Zusammenarbeit zu Ende. Aber das ist auch so ein verschnarchtes Blatt. Die sind so hinterher, dass du sicher sein kannst, wenn die mal eine Band entdecken, ist es schon wieder vorbei.
Nun warst du beim Schreiben über Musik, und das nicht nur aus der reinen Fanperspektive, schon sehr früh dabei, was sicher auch was damit zu tun hat, dass du 1977 schon 23 warst.
Als es mit Punk losging, war ich nicht mehr 15, wie so viele andere. Ich habe damals so was wie meine zweite Jugend durchlebt. Meine erste Jugend verbrachte ich Ende der Sechziger und Anfang der Siebziger eher mit den ROLLING STONES, den BEATLES und was es sonst noch alles so gab. Die erste wirklich wichtige Band für mich waren dann aber TON STEINE SCHERBEN, und nach einer Phase zu Unizeiten, in der ich kaum Musik hörte, begann ich mich dann mit ROXY MUSIC, VELVET UNDERGROUND und Patti Smith wieder mehr für Musik zu interessieren, und dann kamen auch schon die RAMONES und die SEX PISTOLS. Da ergab sich dann die Perspektive, dass man aus diesen ganzen Zwängen auch ausbrechen könnte, es wurde ein Tor in eine neue Welt aufgestoßen. Man konnte sich entwickeln, es war eine herrliche Zeit, wie ich sie jedem nur wünschen kann. Es war ein tolles Erlebnis, das mich für mein ganzes Leben geprägt hat. Andere Leute haben das mit Techno oder HipHop erfahren, aber für mich war es eben Punk. Es ist auch egal, mit welcher Musik das so ist, wichtig ist, dass man zeitnah dabei ist, dass man zulässt, dass Musik dein Leben verändert, dir neue Perspektiven aufzeigt – und das hat Punk getan. Damals stand in den Plattenläden ja alles Mögliche unter “Punk”, auch BLONDIE, was heute vielleicht kaum noch jemand nachvollziehen kann. Man bekam einen ganz anderen Horizont, das war das Tolle daran. Manche haben dann Bands gegründet, andere ein Fanzine oder ein Label, wieder andere betätigten sich grafisch, es gab plötzlich lauter neue Ausdrucksmöglichkeiten, alles war möglich.
Wieso hat es dann doch noch so relativ lange gedauert, bis du 1980 das Label No Fun Records gegründet hast?
In Hannover fand das erste Punk-Festival 1978 statt, und es hat dann halt einfach gedauert, bis sich das als zwangsläufige Folge ergeben hat. Ein paar Freunde spielten in Bands, wollten Platten machen, und damals wollte eigentlich niemand zur Industrie, zu den großen Labels. Wir in Hannover schon gar nicht, viele kamen aus der Sponti-Bewegung, ich etwa hatte zuvor eine alternative Stadtzeitung gemacht, mit Verbindungen zur Anti-AKW-Bewegung. Zur Industrie jedenfalls wollte keine der Bands, denn wir kannten ja die, die dort unter Vertrag waren, etwa SCORPIONS, JANE oder ELOY. Mit denen wollten wir aber nichts zu tun haben, das waren unsere Feinde. Und dann kam eben der Gedanke auf, selbst ein Label zu machen. Wir setzten das konsequent fort, was Mark Perry in seinem Fanzine Sniffin’ Glue geschrieben hatte: “This is a chord, this is another, this is a third. Now form a band.” Das Ganze explodierte dann förmlich, es kamen immer mehr Bands, es war einfach eine sehr kreative Zeit Anfang der Achtziger.
Aber es war auch recht bald wieder vorbei. Warum der Schlussstrich?
Die Industrielabels nahmen jede Oldiekapelle unter Vertrag, die plötzlich einen auf “Neue Deutsche Welle” machte, und da war der Markt dann völlig dicht mit völlig unsinnigen Produkten. Es war der totale Overkill, und bald wollte keiner mehr irgendwas hören, was aus dieser Richtung kam. Die ambitionierten Labels gingen fast alle pleite, wir kamen mit einem blauen Auge davon und sahen ein, dass es keinen Sinn mehr macht, auch weil wir uns nicht wie andere Labels umorientieren wollten. Zudem hatten wir immer mit starkem Lokalbezug gearbeitet, und neue Bands kamen damals nicht nach. Klar, hätten wir noch vier, fünf Jahre durchgehalten, hätten wir vielleicht mit TERRY HOAX und FURY IN THE SLAUGHTERHOUSE weitermachen können. So waren wir 1983 finanziell am Ende, konnten aber noch alles okay abwickeln.
Mit der No Fun-Compilation ist jetzt eine CD mit den Songs all eurer Singles erschienen.
Tom Redecker von Sireena kenne ich seit vielen Jahren, er arbeitete lange für das Label Bear Family, das dafür bekannt ist, sehr genau und umfassend zu arbeiten. Tom hat mich dann zwei Jahre lang genervt, man müsse da mal was machen mit No Fun, aber ich war der Meinung, man könnte nicht 39 CLOCKS, BÄRCHEN UND DIE MILCHBUBIS und CRETINS hintereinander auf eine CD packen. Er war anderer Meinung, schaffte es innerhalb kürzester Zeit, die Zustimmung der Bands einzuholen, und so ging das seinen Gang. Mittlerweile finde ich das auch ganz schön, so wurde das Kapitel No Fun auch mal aufgearbeitet, denn zuvor wurde das Label oft nicht mitbedacht. Hannover kommt in Jürgen Teipels Buch “Verschwende deine Jugend” nicht vor, obwohl es eine der vier wichtigen Städte für Punk in Deutschland war: Berlin, Hamburg, Düsseldorf – und Hannover! Hannover ging dann aber immer etwas unter, weil sich keiner um das Erbe, den Nachlass gekümmert hat. Das lag im Falle von No Fun auch mit daran, dass die Verträge vorsahen, dass die Bands ihre Rechte nach fünf Jahren wieder zurückbekommen. Das hatte etwas damit zu tun, dass No Fun von der Idee her ein Kollektiv der verschiedenen Bands sein sollte. Das hat zum Schluss zwar nicht mehr funktioniert, wir hatten uns zu einer richtigen Plattenfirma entwickelt, aber es war die Ursprungsidee – und hatte zur Konsequenz, dass sich im Nachhinein niemand so richtig um das Erbe kümmerte. Immerhin haben HANS-A-PLAST ja vor ein paar Jahren alle Songs neu auf CD veröffentlicht, und auch DER MODERNE MAN macht derzeit eine Box mit allen Songs. Wobei ich nicht der Meinung bin, dass jede einzelne No Fun-Platte eine Neuauflage wert ist, denn da waren schon auch ein paar Schandtaten dabei, haha.
Nach No Fun hast du für das Hannoveraner Stadtmagazin Schädelspalter gearbeitet.
Ja, ich wusste nicht so recht, was ich machen soll. Ich hatte zuvor schon ein bisschen für Sounds und Rock Session geschrieben, und so fing ich an, in Hannover für die Tageszeitung und das Stadtmagazin zu schreiben und wurde letztlich beim Schädelspalter Chefredakteur. Nach drei Jahren ging ich dann zum Stern, blieb da fünf, sechs Jahre. Es war eine schöne Zeit, ich habe da viel erlebt, aber irgendwann hatte ich keine Lust mehr.
In gewisser Weise warst du ja aber auch zum “Feind” übergelaufen, denn Spiegel und Stern haben damals über Punk die abenteuerlichsten Dinge berichtet.
Klar, der Stern konnte damals bei Musikthemen nicht so detailliert sein wie die Sounds, aber für mich war das nicht der Feind, sondern eine Möglichkeit, unter wunderbaren Bedingungen arbeiten zu können. Die können natürlich auch mal nervig sein, wenn man mit Leuten über Dinge diskutieren muss, von denen sie keine Ahnung haben, etwa wenn man ein bestimmtes Thema durchbekommen will – gerade dann, wenn man etwas anderes will als nur Mainstream.
Warst du damals also “unser Mann” beim Stern?
Na ja, die fanden das schon ganz interessant, was ich da machte, und ich sollte da auch unter meinem Pseudonym Hollow Skai schreiben. Ich habe immer versucht, als Popredakteur viele Platten von Indielabels im Stern zu besprechen, das war ja die Musik, die ich interessant fand, aber natürlich war schon eher gefragt, möglichst populäre Sachen zu bringen. Meine Chefs haben sich die Aufträge geschnappt, wo sie in die USA fliegen konnten, um über Michael Jackson zu schreiben, und ich habe versucht, da ein Gegengewicht zu sein, aber das war natürlich ein Kampf gegen Windmühlen. Den Kampf wird man aber immer verlieren, das kannst du vergessen. Ich bin aber dennoch stolz auf ein paar Sachen, die ich für den Stern gemacht habe, etwa die erste größere Geschichte über GUNS N’ ROSES in Deutschland. Ich hatte auch eine schöne Reportage über HipHop gemacht, die leider etwas unterging, und auch ein Madonna-Porträt. Das waren so Sachen, auf die ich echt stolz bin, die aber nicht unbedingt was mit Punk zu tun haben. Und die TOTEN HOSEN damals in den Stern zu bekommen, auch wenn die auf Platz eins in den Charts waren, das war undenkbar. Das war denen zu schmuddelig. Ich hab’s aber trotzdem geschafft. Heute hat sich das natürlich alles geändert, da haben die Hosen den gleichen Status wie Westernhagen – und hören sich auch fast so an.
Apropos DIE TOTEN HOSEN: Auf einestages.spiegel.de ist von dir die Geschichte zu lesen, wie die Hosen 1986 im Hause des niedersächsischen CDU-Ministerpräsidenten auf der Party von dessen Sohn spielten. War das dein erster Kontakt zu Campino und Co?
Nein, die kannte ich schon vorher, schon von die Markthallen-Festivals 1979. Da hießen sie allerdings noch ZK. Es ist aber interessanterweise so, dass man zu all jenen Leuten, die man 1979/80 kennen lernte, auch heute noch Kontakt hat. Ich treffe heute noch Leute, die ich bislang nur dem Namen nach kannte, so in der Art “Ach, hast du nicht auch mal für Sounds geschrieben?” Man hat sich was zu erzählen, man tauscht sich aus – das ist, als ob man zusammen im Krieg gewesen wäre. Diese Zeitschrift Sounds hatte wirklich eine große Bedeutung, die bindet noch 30 Jahre später Menschen aneinander. So eine Zeitschrift fehlt heute leider, da ist alles so diversifiziert.
Was liest du denn heute an Musikzeitschriften?
Ich kaufe mir immer Rolling Stone und Musikzeitschriften, wegen der CDs, um so auf dem Laufenden zu sein. Dabei bekomme ich die besten Anregungen nie da, die kommen von Freunden.
Und schreibst du selbst aktuell für eine Zeitschrift?
Ich schreibe heute eine Kolumne für den Motoraver, das ist so ein abgefahrenes Hamburger Automagazin, das von echt guten Leuten gemacht wird.
Musikjournalismus ist heute ein verkommenes Metier, in dem selten ernsthaft rezensiert, kritisiert und recherchiert wird, wo aber dafür um so mehr Gefälligkeitsartikel zur Begleitung von Anzeigen verfasst werden. Wie siehst du das?
Für mich hat ganz viel an dieser Mediensituation mit dem Privat-TV zu tun. Ich will jetzt nicht die ARD loben, aber seit es Privat-TV gibt, lernt doch keiner mehr den Beruf des Journalisten. Früher hat man bei kleinen Zeitungen angefangen zu schreiben und gelernt sich auszudrücken. So ist man dann beispielsweise langsam vom Fanzine übers Stadtmagazin zum Stern geklettert, ein mühsamer Weg, bei dem man über lange Jahre Erfahrung sammeln konnte. Heute fängst du nach dem Praktikum, ohne dass dir wirklich jemand was beigebracht hat, direkt bei einem Privatsender an. Ich bin wirklich dankbar, was ich beim Stern von guten, erfahrenen Kollegen lernen konnte. Heute dagegen geht es vielfach nur noch darum, dass irgendein Rahmen ausgefüllt werden muss, ganz gleich mit welchem Inhalt. Von Leuten, die gar nicht mehr in der Lage sind sich auszudrücken, und das beinhaltet auch, bei Musikjournalismus nur noch die “Waschzettel” der Labels wiederzugeben.
Kuturpessimismus …?
Au ja, unbedingt! Man müsste sich wirklich dem ganzen Scheiß verweigern und mehr dagegen anmotzen. Ich warte darauf, dass mal jemand eine große Abrechnung in Buchform verfasst. Überhaupt: Was da an Büchern gelobt oder gar nicht erst besprochen wird, weil eine Anzeige geschaltet wird oder eben nicht, das ist schlimm, das ist wie bei Filmen und Platten.
Was sind deine nächsten Projekte?
Ich sitze gerade mit Trini Trimpop, dem ehemaligen Schlagzeuger der TOTEN HOSEN, an einem Buch über Sexualität und Musik, und das hat natürlich auch wieder eine Menge mit Punk zu tun. Es geht also nicht nur um den Hüftschwung von Elvis, sondern auch um das Hundehalsband der Punks, um Latex, Tattoos und Piercings. Punk ist eben eine Musikrichtung, die ähnlich unterschätzt ist wie der Dadaismus – auch deshalb wird er mich sicher noch ein paar Jahre begleiten.
Joachim Hiller
© by Ox-Fanzine / Ausgabe #80 (Oktober/November 2008)