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You're never too young to be a dirty old fan

Bittere Heimat


In der Ausgabe 8/13 der ver.di-Mitgliederzeitschrift Publik habe ich mal wieder eine Compilation des Trikont-Labels besprochen — Songs of Gastarbeiter Vol. 1:

Als im Zuge des deutschen Wirtschaftswunders immer mehr Gastarbeiter in Italien, Jugoslawien und der Türkei angeworben wurden, empfing man sie in der Bundesrepublik alles andere als freundlich. Als Fließbandarbeiter oder billige Hilfskraft ruinierte manch einer von ihnen seine Gesundheit. Läden, in denen sie heimische Lebensmittel kaufen konnten, gab es in den 1960ern noch nicht, ganz zu schweigen von einer türkischen Community. Die Zimmer, die man ihnen vermietete, waren in der Regel die letzten Bruchbuden. Von ihren deutschen Kollegen wurden sie misstrauisch beäugt und als Kaffer oder Kanaken tituliert. Und ihre Frauen und Kinder lebten getrennt von ihnen im armen Mezzogiorno, im wilden Kurdistan oder im bäuerlichen Anatolien, wohin sie jeden Pfennig schickten, der übrig blieb, damit ihre Familien überleben konnten.

Trost fanden die wie der letzte Dreck behandelten Arbeitsemigranten allein in den Liedern von Landsleuten, die Imran Ayata und Bülent Kullukcu in jahrelanger mühsamer Arbeit zusammengetragen und nun auf dem Sampler „Songs of Gastarbeiter Vol. 1“ (Trikont) wiederveröffentlicht haben.

Während ihre deutschen Kollegen in den 1970ern im Werkkreis Literatur der Arbeitswelt sich ihren Frust von der Seele schrieben und unmenschliche Arbeitsbedingungen anprangerten, griffen türkische Musiker zur Zil, zum Tulum und zur Saz, also zur Zimbel, zur Sackpfeife und einem Saiteninstrument, um Lieder voller Wehmut und Heimweh anzustimmen, in denen nicht selten Deutschland als „bittere Heimat“ bezeichnet und über die Arbeit in der Fabrik geklagt wurde.

Für Ayata und Kullukcu sind Musiker wie Ozan Ata Canani, Derdiyoklar oder Yüksel Erkasap denn auch Pioniere, „weil sie sich und ihren Alltag zum Thema machten, sich nicht nur leidend, sondern auch kämpferisch und ironisch gaben und scharfsinnige Beobachter der deutschen Gesellschaft waren“ – und die nebenbei neue Musikstile wie den anatolischen Disco-Folk kreierten, mit Sprechgesang experimentierten (lange bevor Bushido den Rap in Verruf brachte) und auch der deutschen Sprache einen eigenen Akzent verliehen.

Insbesondere die deutschen Texte von Yusuf („Ich türkisch Mann, ich nix deutsch sprechen kann“) oder Cem Karaca („Es wurden Arbeiter gerufen, doch es kamen Menschen an“) bleiben zunächst im Ohr hängen. Aber das zeigt eben auch nur, wie fremd uns die türkische Kultur trotz aller Urlaubsreisen nach Antalya noch immer ist.

 

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