skaichannel

You're never too young to be a dirty old fan

Was Politiker lesen und hören


Weil die programmatischen Unterschiede gerade zwischen den großen Parteien dem Wähler so gering erscheinen wie nie zuvor, würden die Personen, die wir wählen, automatisch wichtiger, meint heute die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung und hat deshalb Politiker Fragen zu Kultur und Alltag gestellt. „Ihre Antworten verraten etwas über ihr Inszenierungstalent und, so weit vorhanden, über ihren Witz.”
So antwortet der SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück auf die Frage, welches Buch er in die Hand nähme, wenn er nicht mehr weiterwüsste: „Den Brockhaus.” Und demonstriert damit, wie wenig er in der Gegenwart lebt. Da ist die Arbeitsministerin Ursula von der Leyen schon gewiefter: „Das Telefonbuch in meinem Handy.” Der FDP-Spitzenkandidat Rainer Brüderle findet Luthers Tischreden inspirierend, die SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles greift gleich zu „Sämtlichen Werken” von Heinrich Heine, Sahrah Wagenknecht (Die Linke) liest dann Goethes Liebesgedichte, ihr Parteikollege Gregor Gysi Goethes „Faust” und Katharina Nocum von den Piraten „Linux in a Nutshell” und das Grundgesetz. Der Ex-Umweltminister Jürgen Trittin von den Grünen griff früher zum „Kursbuch” und schaut heute bei Google Maps nach, die Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) greift zum Koch- oder Gartenbuch, Bernd Lucke (AfD) zu Loriots großem Ratgeber, die Landwirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU) zu Büchern „mit alten Lebensweisheiten” und die grüne Bundestagspräsidentin Katrin Göring-Eckardt schlägt die Bibel auf, „wenn es wirklich existentiell wird”. Der Verkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) nimmt „die jeweilige Betriebsanleitung” in die Hand und die stellvertretende SPD-Vorsitzende Manuela Schwesig fragt lieber ihren Mann.
Interessant auch, welche Bücher sie zuletzt verschenkt haben: „1913″ von Florian Illies (Steinbrück), „Der alte König in seinem Exil” von Arno Geiger (von der Leyen), Bertolt Brechts „Die Geschäfte des Herrn Julius Caesar” (Brüderle!), Volker Kutschers „Die Akte Vaterland” (Trittin), ein Krimi aus der Ariadne-Reihe (Katja Kipping, Die Linke), John Seymours „Leben auf dem Lande” (Bernd Schlömer, Piratenpartei), „Die Schnecke und der Buckelwahl” von Axel Scheffler (Nahles), Ursula Krechels „Landgericht” (Schnarri), „Eine Frage der Zeit” von Axel Capus (Lucke), Alexander Rüstows „Die Religion der Marktwirtschaft” (Wagenknecht), Egon Bahrs Erinnerungen an Willy Brandt (Schwesig), Ray Bradburys Dystopie „Fahrenheit 451″ (Nocun), „Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand” (Gysi) oder Ulrich Gutmairs „Die ersten Tage von Berlin: Der Sound der Wende” (Göring-Eckardt). Allein der Leser von Betriebsanleitungen, Peter Ramsauer, verschenkt „fast nie Bücher, eher CDs”.

Da möchte man eigentlich gar nicht mehr hören, welchen „Guilty-Pleasure-Popsong” (FAS) sie im Autoradio lauter stellen, auch wenn er gegen jeden guten Geschmack geht. Steinbrück dreht „Männer sind Schweine” von den Ärzten auf (der eigentlich „Ein Schwein namens Männer” heißt), von der Leyen „Komm, hol das Lasso raus” des Schlagersängers Olaf Henning, Brüderle schmunzelt bei „Angie” von den Rolling Stones, Trittin hört auf, wenn „Delmenhorst” von Element of Crime erklingt (das nur äußerst selten im Radio gespielt wird, aber DJ Dosenpfand kennt sich schließlich aus), Kipping steht auf Madonna („Like A Prayer”), Nahles auf Tina Turner („We Don’t Need Another Hero”), Schnarri auf Michael Jackson („Thriller”), Schwesig auf Wham! („Last Christmas”), Gysi auf Lana Del Rey („Summertime Sadness”), Aigner auf die Spider Murphy Gang („Skandal um Rosi”) und Göring-Eckardt auf „Sunshine In The Rain”. Bernd Lucke ist der Meinung, dass ein Autoradio gegen Robert Gernhardts Elftes Gebot verstößt („Du sollst nicht lärmen”). Sarah Wagenknecht denkt bei „guilty pleasures” eher an Schweizer Pralinen. Ramsauer hört natürlich nur das Info-Radio. Katharina Nocun freut sich, dass dieses Geheimnis dank der Verschwiegenheit ihrer Beifahrer noch nicht „geleakt” wurde. Und ihr Parteikollege Bernd Schlömer würde keinen Song bewusst lauter drehen, hat aber auch kein Auto.
Abgelehnt, sich an der Umfrage zu beteiligen, haben es bezeichnenderweise der Pop-Beauftragte der SPD, Sigmar „Siggy Pop” Gabriel, Außenminister Guido Westerwelle, sein Parteichef Philipp Rösler, der Verteidigungsminister Thomas de Maizière, Familienministerin Kristina Schröder und Kulturminister Bernd Neumann.
Und wen wählt man nun? Die Goethe-Fans von der Linken? Die grauen Mäuse von der SPD? Schlicht gestrickte Gemüter wie Aigner und Ramsauer? Den Stones- und Brecht-Fan Brüderle? Ich fürchte, dass auch bei dieser Umfrage nur eine Partei wählbar ist: Die Partei.

Schlagworte:

Kommentar schreiben