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You're never too young to be a dirty old fan

Memoiren eines Rockstar-Mörders

Anlässlich der Wiederveröffentlichung von Samuel Hieronymus Hellborns „Memoiren eines Rockstar-Mörders” auf skaibooks veröffentlichen wir hier sein Vorwort. In den nächsten Tagen dürfte es auch als E-Book bei den üblichen Verdächtigen erhältlich sein.

Mein Name sagt Ihnen bestimmt nichts. Und wahrscheinlich haben Sie mich auch noch nie gesehen. Dabei habe ich im Laufe meines Lebens das Ansehen vieler Rock- und Popstars bewahrt: indem ich sie aus dem Weg räumte, bevor sie total langweilig wurden und ihnen nichts Neues mehr einfiel.

Ich tat dies durchaus freiwillig und aus eigenem Antrieb. Und manchmal auch für Geld. Doch es ging mir immer nur darum, dass die Leute sich Musiker anhören, solange die noch jung und hungrig sind, und nicht erst, wenn sie Stadien füllen und bereits Stützstrümpfe tragen. Ich konnte es einfach nicht mitansehen, wenn jemand noch mit siebzig den Rocker spielte und »Still Loving You« sang oder »I Can’t Get No Satisfaction«.

Wohin das führt, wenn man nicht bei Zeiten mit dem Flugzeug abstürzt wie Buddy Holly, erschossen wird wie Kurt Cobain oder erhängt wie Michael Hutchence, sieht man ja an denen, die in diesem Geschäft alt und grau geworden sind. Bob Dylan nimmt nur noch Platten auf, für die er sich früher geschämt hätte. Paul McCartney sieht immer mehr wie ein altes Weib aus und hat schon lange keinen Biss mehr. Und Keith Richards ist nur noch peinlich, wenn er auf Palmen klettert, um den dicken Max zu markieren, oder sich über Jaggers kleinen Mick lustig macht. »Cool zu sein bis ins Grab«, hat die französische Philologin Claude Habib mal gesagt, ist eben »gar nicht so einfach.«

Den wenigsten Rockstars war es vergönnt, in Würde zu altern, sondern sie entwickelten sich zusehends zu Nervensägen, die es aus dem Weg zu räumen galt, um Platz für neue Talente zu schaffen. Doch mein Bedürfnis nach frischer Luft und neuer Musik war stets stärker als jeder Hass.

Heute weiß ich, dass ich mit all den Rockstars, die ich im Laufe von fünfundsiebzig Jahren vor dem Abstieg in die Bedeutungslosigkeit oder den Drogensumpf bewahrte, auch die Spuren meines eigenen Alters beseitigte. Mein Charakter blieb so stets jung und heiter, und das sieht man mir offenbar noch heute an: manch einer nimmt mir nicht ab, dass ich bereits 1917 geboren wurde und die gesamte Entwicklung der modernen Musik vom Blues über Rock’n’Roll und Punk bis zu Reggae und Hip-Hop hautnah miterlebt habe.

Vielleicht halten Sie ja alles, was ich Ihnen nun erzählen werde, für spinnerte Phantasien eines alten Mannes, der sich am Ende seines Lebens noch einmal wichtig machen will. Oder Sie denken, dass ich ein Serienmörder bin, reif für die Klapse oder der Teufel persönlich. Aber dann glauben Sie bestimmt auch, dass es den Club 27 wirklich gibt und Elvis noch lebt.

Ich kann Ihnen jedoch versichern, dass ich nie Gott gespielt habe, sondern selbst immer wieder am Kreuzweg stand, jenen Crossroads, an denen Robert Johnson einst angeblich seine Seele dem Teufel verkauft hat. Ich musste mich immer wieder neu entscheiden, welchen Weg ich einschlagen wollte. Und da ich überall einen Weg sah, musste ich immer wieder jemanden beseitigen. Nicht, weil ich ihn nicht mochte, sondern weil er im Weg stand.

Bei der Wahl meiner Opfer war ich aber stets sehr wählerisch. Ich habe nur diejenigen ins Jenseits befördert, deren Musik ich wirklich gut fand. Denn wie Robert Smith von The Cure fand auch ich es widerlich, »wenn Leute, die man in seiner Jugend angehimmelt hat, im Alter die größten Idioten werden«.

Dabei machte ich immer wieder die Erfahrung, dass kein Ereignis so viele Platten verkauft wie der Tod eines Rockstars. Weshalb das unausgesprochene Credo der Plattenindustrie auch lautet: Nur ein toter Popstar ist ein guter Popstar.

Skrupel, sie mir aus dem Weg zu schaffen, hatte ich jedenfalls nie. Denn es war die Natur, um mit Walter Benjamin zu sprechen, die mir das Tempo vorschrieb: Wenn ich ihr nicht zuvorgekommen wäre, hätte sie selbst die Zerstörung übernommen. Und das wäre sicherlich grausamer gewesen als alles, was ich mir zu Schulden kommen ließ.

Amen.

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