R.I.P. Gabi Delgado
R.I.P., Gabi Delgado! Ich habe, soweit ich mich erinnern kann, Gabi Delgado nie persönlich kennengelernt, aber seine „Kebabträume” haben Kreuzberg auf den Punkt gebracht und den deutschen Punk definiert. Hier mein kleiner Beitrag zu „Das ist DAF”, der (in-) offiziellen DAF-Chronik. Farewell!
Der verbotene Reiz der Operette
Im März 1978 traten Charley’s Girls, aus denen schon bald Mittagspause hervorgehen sollten und denen auch Gabi Delgado angehörte, bei einem Maskenball im Nachtclub New Orleans auf der Düsseldorfer Kö auf. Die Schickimicki-Gäste hatten sich als Nazis oder Punks verkleidet und fanden es zunächst lustig, dass Charley’s Girls und ihr Anhang, darunter auch Mike Hentz von Minus Delta t in einer echten Nazi-Uniform, ihnen die Gläser austranken. Schließlich waren sie aber doch erleichtert, als die Band ihren viertelstündigen „Blitzkrieg” beendete, 7000 Mark Gage kassierte und das Weite suchte — nicht ohne vorher noch den Getränkekeller geknackt zu haben.
Das Kokettieren mit Nazi-Insignien war damals die größte denkbare Provokation in einem Deutschland, das nicht mehr an Krieg und Faschismus erinnert werden wollte. David Bowie hatte bereits im Februar 1976 im amerikanischen Rolling Stone geprahlt, dass er „einen verdammt guten Hitler” abgegeben hätte, und das Wort von Hitler als dem ersten Rockstar der Geschichte in die Welt gesetzt. Siouxsie Sioux war schon kurz darauf mit einer Hakenkreuzbinde aufgetreten. Sid Vicious von den Sex Pistols hatte sich in einem von Malcolm McLaren entworfenen Hakenkreuz-T-Shirt fotografieren lassen. Knut Schaller von der Berliner Punk-Band PVC war in einem mit Hakenkreuzen bemalten T-Shirt gesichtet worden und die Stuka Pilots, eine Kreuzberger Kid-Band, in Original-NS-Uniformen aufgetreten. Die Hannoveraner The Cretins sangen „In Dachau is’ ’ne Disco”. Auf jedem Cover der Düsseldorfer Neue-Welle-Band Der Plan wurde ein Hakenkreuz versteckt. Und Franz Bielmeier, der Gitarrist von Charley’s Girls, hatte bereits im Mai 1977 eine zerfetzte Hose getragen, auf deren linkem Bein ein Herz mit Pfeil gemalt war, in dem „Mein Führer” geschrieben stand.
Dieser undifferenzierte Umgang mit dem Faschismus war damals das wirkungsvollste Mittel, um sich von den Grün-Alternativen abzugrenzen. Die Ironie wurde aber selbst von den Punks der zweiten Generation schon nicht mehr verstanden. Als DAF „Der Mussolini” veröffentlichten, boykottierte der Bayerische Rundfunk die Platte, „weil darin Adolf Hitler und Jesus Christus in einem Atemzug genannt wurden”, wie Gabi Delgado, ein Sohn spanischer Antifaschisten, anmerkte. Feuilletonisten wie der Zeit-Autor Franz Schöler kritisierten den „Homophilen-Touch in der Herrenmensch-Attitüde” von DAF und brandmarkten die ungewohnten Klänge als „KdF-Synthesizer-Pop” oder „braunstichigen Minimal-Pop”. Und der Konzertpromoter Fritz Rau meinte: „Sie sehen aus wie Hitlerjungen, das sind Hitlerjungen, nur wissen sie nicht, wer Hitler war.”
DAF, die den Führer in einen lächerlichen Disco-Zusammenhang gebracht hatten, um seine geheimnisumwitterte Aura zu zerstören, setzten sich dagegen jedoch zur Wehr: „Was haben wir damit zu tun, dass Juden vergast worden sind, was haben wir mit Hitler zu tun; das ist, wie wenn jemand vom alten Rom erzählt, wo ja auch viele schlimme Sachen passiert sind mit den Löwen in der Arena und der Christenverfolgung … Christus und Hitler sind harmlos. Wenn man mit ihnen spielt. Nicht in ihrer historischen Bedeutung. Als Spielzeug sind sie harmlos. Wir nehmen uns einfach die Freiheit, mit Dingen zu spielen, von denen andere sagen, dass man da mit dem Feuer spielt.”
Ihr Produzent Conny Plank, über jeden Verdacht erhaben, den aufkeimenden Neo-Faschismus zu verharmlosen, kam ihnen zu Hilfe: „Man darf nicht vergessen, dass der Faschismus eine unzweifelbare Qualität hatte; und zwar war das seine Operettenqualität. Robert und Gabi gehören zu einer Generation, denen die Reizsignale dieser Operette vorgeführt wurden. Immer war diese Darstellung verbunden mit der Darstellung des politisch-moralisch Bösen, immer belehrend, immer mit erhobenem Zeigefinger. Das Gute oder Böse aber betraf sie nicht mehr; was sie interessierte, war der verbotene Reiz der Operette.”
Das Bild von den rockenden Leder-Nazis und dem „germanischen Gegenstück zu Grace Jones” haftete ihnen aber trotzdem noch lange an. Delgado 1989 in der Zeitschrift ME/Sounds: „Die 68er in den Medien konnten den ,Mussolini’ nicht einfach als Comic sehen, sondern brauchten einen riesigen ideologischen Überbau — dabei war es gerade die Austauschbarkeit von Ideologien, die hier entlarvt wurde.”
Dieser Beitrag basiert auf meinen Erinnerungen an „Fluch und Segen der Neuen Deutschen Welle — Alles nur geträumt” (Hannibal, 2009)