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You're never too young to be a dirty old fan

Alternative Version

Foto: Romanus Fuhrmann

Für die Lesung in der Laundrette hatte ich das Kapitel aus Hellborns Memoiren, in dem er erzählt, wie er zusammen mit den Barkeepern seinen 70. Geburtstag feierte, umgeschrieben und das Tresenpersonal durch Gäste ersetzt. Für alle, die diese Hommage an Stammgäste der Ottenser Laundrette verpasst haben, hier die alternative Version:

Meinen siebzigsten Geburtstag feierte ich in der Laundrette, einer Bar in Brooklyn, in der man nicht nur etwas trinken, sondern auch seine Wäsche reinigen konnte. Auf Jamaika hatte ich es mir angewöhnt, meine Klamotten selbst zu waschen, und als ich diese Waschbar entdeckte, die nur einen Block von meinem neuen Apartment entfernt lag, freundete ich mich schnell mit einigen Gästen an und lud sie ein, mit mir auf das nächste Jahrzehnt anzustoßen.

Ohio, der Fuchs, Svenja und Romanus, Katrina, Pete und Flow, Olaf, Tina und Henry,  Lisa, Claudia und Nil, Jennifer und Nadine mochten alle dreißig, vierzig Jahre jünger als ich sein, ließen mich das aber nie spüren, sondern behandelten mich wie ihresgleichen. Zwar verleiteten sie mich manchmal, mehr zu trinken, als mir gut tat, aber dank ihrer herzlichen, offenen und überaus freundlichen Art wurde die Laundrette schnell zu meinem Wohnzimmer. Wann immer ich mich einsam fühlte und das Gespräch mit einem mir sympathischen Menschen brauchte, trank ich dort ein aus dem Norden Deutschlands importiertes Bier und genoss ihre Gesellschaft.

Es war eine durchaus illustre Runde, mit der ich auf meinen Siebzigsten anstieß.

Ohio hieß eigentlich Roger und kam aus Westberlin, wo er in einem besetzten Haus gelebt hatte; wegen der vielen Vaterschaftsklagen daheim hatte er Deutschland verlassen und sich nach seiner Lieblingsband, den Ohio Players, benannt. Wenn er nach seinem Job in einer Suppenküche, wo er als Koch arbeitete, am Tresen saß und sich voll laufen ließ, war er stets von attraktiven jungen Frauen umringt, die um seine Aufmerksamkeit buhlten  — ich habe es nicht einmal erlebt, dass er hinterher allein nachhause ging.

The Fox, wie ich ihn wegen seines prägnanten Aussehens heimlich nannte, war der Vertriebschef einer landesweit bekannten Kaffeemarke und verpasste kein Spiel der East River Pirates. Deren Soccer-Platz war nicht weit entfernt von ihrer Stammkneipe am Fuße der Williamsbridge, wohin mich Svenja mal ausführte, eine Lifestyle-Journalistin, die auch für die Pressearbeit der Pirates zuständig war und oft noch am Tresen der Waschbar deren Fanpost beantwortete.

Romanus wiederum war Fotograf und stammte aus Little Italy. Er arbeitete am härtesten von allen, fand aber nach Feierabend immer noch Zeit, seiner eigentlichen Bestimmung nachzugehen: der Akt-Fotografie. Angeblich hatte er mit jedem Model auch eine Affäre.

Katrina war für alle nur die Eisprinzessin. Nicht, weil sie keinen an sich ran ließ, sondern weil sie ein Eiscafé in Dumbo betrieb, von dem aus man einen guten Blick auf die Brooklyn Bridge hatte. Als einzige Frau hatte sie einst im Achter ihres Colleges mitrudern dürfen, und das hatte ihre Figur recht vorteilhaft geprägt. Kein Wunder, dass sie von vielen Stammgästen, die schon viel zu lange Single waren, umgarnt wurde:  Zum Beispiel von Pete, einem ehemaligen Liedermacher, der beim Newport Folk Festival Bob Dylan den Stecker aus der Gitarre gezogen hatte, als der 1963 zum ersten Mal statt mit einer Klampfe mit einer E-Gitarre aufgetreten war. Von Flow, einem Computer-Freak, der in einer Blues-Band Bass spielte und selbst dann noch geradezu stoisch an der Bar saß, wenn die Provinzler aus New Jersey am Wochenende in die Stadt einfielen und die Bar praktisch leersoffen. Von Olaf, einem ausgemachten Schlitzohr, dessen Baufirma im Ruf stand, einer Mafia-Familie zu gehören, der aber auch sehr gewitzt sein konnte und mit dem ich mich ein ums andere Mal beim Golfen am nächsten Morgen ausgenüchtert habe. Oder von mir. Aber ich war ihr leider zu alt.

Und außerdem gab es ja noch Tina Turner, eine kleine indische Stewardess, bei der man nie wusste, ob sie mit einem flirtete oder nur so tat, als ob. Schließlich war meistens auch ihr Mann Henry in der Nähe, ein Immobilienverwalter, der Gin Tonic wie Wasser trank und jede Gelegenheit ergriff, um mit Lisa, einer angehenden Bauarchitektin, Fachgespräche zu führen. Lisas Herz wollte ich mit einem Praktikum bei Libeskind erobern, doch daraus wurde ebenso wenig wie aus meinen Anbändeleien mit Claudia, die jeden Tag für den New York Marathon trainierte, bei Wind und Wetter den Hudson River entlang lief und nichts anderes mehr im Kopf hatte. Oder mit Nil, einer aus Istanbul stammenden Anwältin, die in der Bronx die ganz harten Fälle betreute — die sie aber Gott sei Dank nicht mit in die Laundrette brachte.  Oder mit Nadine, aber lassen wir das.

Die süßeste von allen war zweifellos Jennifer, eine scheue kleine Grafikerin, die geradezu vernarrt in ihre kleine Tochter war und sich mit Gelegenheitsjobs durchs Leben schlug. Als ihr Freund sie endlich mal in aller Öffentlichkeit küsste, hätten die meisten wohl am liebsten applaudiert. Nur ich nicht. Ich war eifersüchtig vom Scheitel bis zur Sohle, wendete meinen Blick schnell ab und schmachtete lieber Nicole oder Annie oder Kirsten an. Und manchmal auch Olimpia, die Barkeeperin, die ebenso lesbisch war wie die von mir so verehrte Bessie Smith. Bei ihr wusste ich wenigstens, woran ich war.

In  der Laundrette lernte ich eines Tages aber auch ihren Besitzer kennen, Steven, einen gutmütigen Typen, der das Herz auf dem rechten Fleck hatte und offenbar die meiste Zeit damit verbrachte, die Flohmärkte von Brooklyn nach möglichst harten Barhockern zu durchstöbern, die meine Gesäßnerven abtöteten. Abends ließ er sich in seiner Bar nie blicken, doch tagsüber schenkte er persönlich Kaffee aus oder legte fein säuberlich seine frisch gewaschenen T-Shirts zusammen, die es weder bei Mark & Spencer noch bei Bloomingdale’s gab. Steven war eine Seele von Mensch und buddhistisch angehaucht, und er war es auch, der mich auf die Idee brachte, meinen Vorfahren im fernen Hannover nachzuspüren — und der Liebe meines Lebens zu begegnen.

 

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